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Jemand meint es gut mit mir

Die letzten Stunden auf der Farm genieße ist sehr. Die Sonne ist fast so kräftig, wie in den ersten Tagen. Die Schweine sind entkommen und laufen durch den Garten. Silvia und Kirke versuchen sie wieder in den Verschlag zu treiben, aber die Schweine weichen immer wieder aus. Vor ein paar Tagen haben sie ein Schwein geschlachtet - ich bin mir ziemlich sicher, dass die anderen deshalb ausgebrochen sind. Niemand hat die Tür offen gelassen oder sowas. Die Schweine haben sich selbst freigekämpft. Aber richtig an Flucht haben sie dann doch nicht gedacht, denn ein Stopp beim Katzenfutter war dann doch noch drin.

 

Ich gehe mit Yves und Kirke ein letztes Mal zum Coop und esse die Tagliatelle mit Pilzen. Die Pasta sind mit zu wenig Salz gekocht und ich der Koch hat es mit dem Öl, in dem die getrockneten Tomaten eingelegt waren etwas übertrieben - die Nudeln triefen. Ich maße mir an, dass ich den Laden sowohl besser führen, als auch besser kochen würde. Fast immer wenn ich dort war, musste ich irgendwann zum Tresen gehen, um etwas zu bestellen, nur um dann gesagt zu bekommen, dass sie zum Tisch kommen. Aber immer wenn ich am Tisch warte, kommt niemand. Ich habe es einmal getestet, da saß ich einfach eine halbe Stunde und nichts ist passiert - ich hatte eh zu tun und wollte nur im warmen sitzen. Vermutlich ist es bei jedem so, der mal in der Gastro gearbeitet hat - man sieht einfach, wenn ein Laden nicht richtig funktioniert. Es ist schade, denn die Basis ist so gut. Wie auch bei der Farm habe ich das Gefühl, dass die Glanzzeit des ganzen Projekts und des Ladens schon vorbei ist und es gerade massiv bergab geht. 

Ich sollte am letzten Tag nicht jammern, mir hat der Monat hier mehr als gut getan!

 

Zurück auf der Farm mache ich einen Spaziergang mit dem grauen Kater. Wir machen eine längere Streichelpause beim Teich und ich bin kurz sehr traurig. Diesen kleinen Kater, der ganz schön gewachsen und auch ein bisschen dick geworden ist, werde ich sehr vermissen. Auch Marlon Brando, den Sabbernden, ewig grummeligen, schwarz-weißen Kater, der immer, wenn ich mit meiner Decke wie eine Omi in meinem Sessel am Feuer saß, irgendwann meinen Schoß als seinen Sessel bezog.

Ich verabschiede mich von Kirke, Yves und Silvia und von allen Tieren, die ich finden kann. Den Schafen kraule ich auch noch ein bisschen die Köpfe, die genießen das nämlich auch. Und dann gehe ich und fühle mich sehr gut dabei. 

LISSABON

Anreise unspektakulär - Uber, Zug, Metro, laufen, SelfCheckin.

Ich lege mich ersteinmal kurz ins Bett und schaue an die Decke meines neuen Airbnb Zimmers. Es ist ein fast quadratischer Raum mit einem Bett, einem Tisch und einem kleinen Balkon. Hohe Decken mit Stuck und Kronleuchter lassen die bescheidene Ausstattung wie absichtlichen Minimalismus  wirken. Ich bin zufrieden. Es ist war, es gibt genug Steckdosen und die Matratze fühlt sich gut an.

Ich genieße es, dass ich hier niemanden kenne und mit niemandem reden muss. Die letzten Wochen waren toll - ich habe viele interessante Menschen kennengelernt und Freunde gefunden und habe schon eine eindrückliche Einladung nach England und nach Estland. Aber heute beim Essen meinte Yves, dass ich ja extrovertiert bin. Und da habe ich nur gelacht und musste erklären, dass ich von Natur aus ganz und gar nicht extrovertiert bin. 'Ah qui, a well trained introvert then' meint Yves und er hat recht. Ich bin wirklich gut trainiert! Aber jetzt brauche ich eine Pause und ich glaube es ist tatsächlich einfacher in einer Großstadt einfach unterzutauchen und ganz unbemerkt introvertiert, allein die Stadt zu erkunden. 

 

Ich raffe mich irgendwann dann doch noch einmal auf und gehe zu einem veganen Burgerladen. Ich versuche mich von Anfang an so durch die Stadt zu bewegen, als wäre es meine Stadt. Ab und zu schaue ich auf Google Maps nach, wo ich bin, aber die meiste Zeit laufe ich zielstrebig mit großen, bestimmten Schritten durch die Straßen, das gefällt mir und so fühle ich mich sicher. Ich möchte nicht sofort als Solotourist enttarnt werden. Es ist ganz schön hügelig hier. Ich bin froh, dass ich am Freitag eine Ebiketour durch die Stadt gebucht habe und keine normale Fahrradtour...

 

Im Vegan Junkies läuft relativ laute Musik. Es ist ein kleiner Laden mit nur 8 Sitzplätzen. Ich halte einem freundlich schauenden Mann die Tür auf und darf mir einen Tisch aussuchen. Ich bestelle ein A.M.O Porter Bier und dazu die Burgerempfehlung der Bedienung. Ich zeichne ein kleines bisschen, esse meinen Burger, trinke mein Bier, zeichne mein Bier und den leeren Teller. Aber als ich zahlen möchte, kommt die Kellnerin ziemlich begeistert zu mir und erklärt, dass der Mann neben mir schon für mich bezahlt hat. Ich bin furchtbar überrascht, aber freue mich umso mehr! Wenn es wirklich der Mann neben mir war, dann weiß ich ganz und gar nicht warum, wir haben weder Worte noch Blicke gewechselt. Der andere, dem ich die Tür aufgehalten habe, dem habe ich kurz zugelächelt, einfach weil er ein nettes Gesicht hatte und ich gute Laune, vielleicht war er es auch. Die Kellnerin ist deshalb so begeistert, weil es ja nicht mal eine Art Anmache war. Der Unbekannte hat einfach für mich bezahlt und ist dann gegangen. Das ist wirklich schön und hat mir diesen ersten Abend hier in Lissabon sehr versüßt. Eine sehr schöne Begrüßung. Ich habe so viel positive Energie mitgebracht von der Farm und vom Meer und das scheint jemand hier gespürt zu haben oder vielleicht waren es auch meine Zeichnungen, die ihm gefallen haben, wer weiß. Oder er hatte einfach selbst einen sehr guten Tag. Ich habe das Vegan Junkies jedenfalls mit bester Laune verlassen und bin spontan Richtung Tejo und Meer gelaufen. Es zieht mich doch irgendwie immer zum Wasser. Während ich laufe, lächle ich vor mich hin. Viele Straßen sind weihnachtlich geschmückt und als ich am Wasser ankomme, steht dort ein riesiger, begehbarer Weihnachtsbaum.

Die Quallen sind doch sehr cool! Außerdem ist das ein Laden nur mit schönem Dosenfisch. Unglaublich. Im Touriviertel natürlich, aber wirklich gut eingerichtet.

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Kommentare: 1
  • #1

    Annegret (Mittwoch, 01 Dezember 2021 13:45)

    Hallo Kind,
    ich wünsche dir noch eine tolle Woche. Ich hatte ein paar Tage nicht gelesen und konnte gerade nicht aufhören. Sehr schön, sehr persönlich, sehr aufmerksam dein Blick auf das Große und Kleine und auf die Menschen (und Tiere) um dich herum. Vielen Dank, dass wir mitlesen dürfen!
    Liebe Grüße und bis bald
    deine Mutter